Wer die vermissten Werke von niederländischen Altmeistern gestohlen haben könnte und warum (Auszüge).
Andrea Raschèr, Zürcher Kunstrechtsexperte und Berater, vermutet: «Im Moment werden sicher die internen Mitarbeiter und die Handwerkerinnen durchleuchtet.» Für ihn deutet vieles auf einen Insider-Job hin, wobei dies zum jetzigen Zeitpunkt natürlich Spekulation ist, wie Raschèr betont.
Schlecht für das Kunsthaus wäre ein Zufallstäter. Jemand, der durch Gelegenheit zum Dieb wurde, der aber nicht über die Kanäle verfügt, um das Diebesgut zu verhökern. Nervös auf dem Diebesgut festsitzend, agierten Amateure zunehmend panisch, erklärt der Experte Raschèr, der schon allerlei erlebt hat, vom Verbrennen und Zerschneiden bis hin zum Ins- Wasser-Werfen oder zur unversehrten Rückgabe der Kulturgüter. «Amateure neigen zu Dummheiten», sagt der Fachmann.
Andrea Raschèr sagt, Auftragsräuber stammten oftmals aus ehemaligen Krisengebieten in Osteuropa oder seien frühere Mitglieder militärischer Spezialeinheiten. Solche vierschrötigen «Söldner» verübten auch den letzten grossen Kunstraub in Zürich, in der Sammlung E. G. Bührle 2008. Mit gestohlenen Gemälden von Claude Monet, Edgar Degas, Paul Cézanne und Vincent van Gogh, damaliger Gesamtwert 180 Millionen Franken, gilt der Fall als der grösste Kunstraub der Schweizer Geschichte. Als Raschèr damals seine Special- Forces-These unterbreitete, habe es aus Polizeikreisen geheissen, das sei lächerlich. Jahre später weiss man: Die Täter waren tatsächlich Mitglieder einer exjugoslawischen Spezialeinheit.
Manchmal werden Diebstähle auch von Sammlern in Auftrag gegeben. Bekannt wurde etwa der Fall eines griechischen Industriellen, der Raffaels «Madonna Esterhazy» aus einem Budapester Museum stehlen liess. Der Magnat hängte sich das liebliche Madonnenbild in die gute Stube. Für Raschèr «geht das in Richtung der Triade von ‹Gier, Geilheit und Gewalt›. Wenn jemand unbedingt einen Raffael besitzen muss, weil dieser für das eigene Selbstbild so zentral ist.»
Viele Fachleute halten das Szenario des gutsituierten, diebischen Sammlers allerdings für äusserst selten. Er frage sich aber schon, entgegnet Raschèr, wo Hunderte von Picassos oder Chagalls geblieben seien, die noch immer als vermisst gälten.
Der Zürcher Experte sass schon Erben eines heimlichfeissen Sammlers gegenüber, die mit dessen unverkäuflichen Hinterlassenschaften gestraft waren. «Hier kommt die Scham ins Spiel. Niemand will die Tochter oder der Sohn eines Kriminellen sein.» Also würden Verträge zwischen Erben und Anwälten aufgesetzt, die geheim blieben und in denen niemand der Böse sei. «Irgendwann ruft eine Anwältin im Museum an und sagt: Ich habe hier zwei Bilder, ihr könnt sie abholen.»
In weiten Teilen der westlichen Welt kann man derlei ergaunerte Sammlerstücke niemandem zeigen, höchstens Gleichgesinnten, also Leuten mit ähnlich locker sitzenden Moralvorstellungen: Mafiosi und anderen Machtmenschen mit krimineller Energie, «die sich mit der Tat brüsten», sagt Raschèr. Diese Spur führe meist in Gegenden, «wo feudale, mafiöse oder clanmässige Strukturen herrschen».
Museen und Kunstsammlungen wurden für Panzerknacker längst zu einer lohnenden Alternative zu ihren angestammten Geschäftsfeldern wie dem Bankraub. Worüber niemand in der hiesigen Kunstbranche gerne spreche, sagt Raschèr, sei, wie anziehend Sammlungen in ehemaligen Villen in abgeschiedener Lage auf Kriminelle wirkten. Eine Beschreibung, die auf viele Schweizer Sammlungen und Museen zutreffe.
Eine eigene Disziplin stellt derweil das «Art-Napping» dar, das «Kidnappen von Kunst», um Besitzer und Versicherungen zu erpressen. Meist verlangten die Erpresser einen tiefen zweistelligen Prozentsatz des Wertes und drohten, das Objekt sonst zu zerstören, sagt Raschèr.
Versichert werden kann nur der materielle, nicht aber der immaterielle Wert von Kunst. Nur ist ein Werk dem Besitzer – egal ob Museum, Galerie oder Privatperson – persönlich mehr wert als allein die versicherte Summe. Darum werde das Lösegeld immer wieder bezahlt, sagt Raschèr. Nur gelte das Zurückkaufen als Hehlerei und sei damit eine Straftat, weshalb die Versicherungen solche Deals nicht akzeptieren würden.