Der Kunstkrimi sorgte weltweit für Schlagzeilen – in der Schweiz löste er eine Revolution im Umgang mit Raubkunst aus. Oder, wie es der Kunstrechtsexperte Andrea Raschèr sagt: Er bewirkte eine «kopernikanische Wende» in der Provenienzforschung und der Restitution von Kunstwerken.
Denn Bern hat bei der Aufarbeitung der Sammlung Gurlitt eine Vorwärtsstrategie eingeschlagen: Nicht nur von den Nazis geraubte Werke werden an die rechtmässigen Erben zurückgegeben. Auch für Kunstwerke, die von ihren jüdischen Besitzern zur Finanzierung ihrer Flucht verkauft worden waren, Fluchtkunst, werde Bern mit möglichen Erben «faire und gerechte Lösungen» anstreben, lautete die Ansage. Das war neu in der Schweiz. Von Deutschland übernahm Bern zugleich die weiter gehende Auslegung der Washingtoner Prinzipien, einer internationalen Übereinkunft zur Restitution entwendeter Kulturgüter. Die Prinzipien hatte auch die Schweiz 1998 unterzeichnet, jedoch bezüglich Fluchtkunst restriktiver ausgelegt. Diese Praxis warf Bern nun über Bord: «Das Kunstmuseum wendet seither für alle Werke die gleichen Prinzipien an, nämlich ob ein Vermögensentzug NS-verfolgungsbedingt war», sagt Raschèr, der die Washingtoner Prinzipien für die Schweiz ausgehandelt hat. «Damit hat es in der Schweiz einen Paradigmenwechsel eingeleitet, der auch auf andere Museen Auswirkungen hatte.»
... Zwar hat die Stiftung schon kurz nach der Jahrtausendwende die interne Provenienzforschung vorangetrieben, «früher als andere Häuser, namentlich auch in Bern», lobt Kunstexperte Raschèr, «und damals war dies ein wichtiger erster Schritt». Doch nach 2014 verpassten die Stiftung, das Kunsthaus und die Zürcher Politik die Gurlitt-Revolution.
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Laut unabhängigen Quellen erarbeitet die SP zurzeit einen parlamentarischen Vorstoss, den sie im Dezember im Nationalrat einreichen will. Die Partei wolle eine unabhängige Kommission des Bundes fordern für die Erforschung und Rückgabe von Kulturgütern, die ihren damaligen Besitzern durch die Naziverfolgung entzogen wurden.
Der Vorstoss orientiert sich an entsprechenden Kommissionen in anderen Ländern. Kunstrechtsexperte Andrea Raschèr begrüsst die Idee: Eine solche Kommission könne für Werke mit Lücken in der Provenienz auf den Einzelfall zugeschnittene «faire und gerechte Lösungen» erarbeiten. Die Kommission solle lediglich Empfehlungen abgeben und keine Urteile fällen, jedoch bereits in Aktion treten, wenn dies nur eine Seite wünsche.