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Die Washingtoner Richtlinien - Entwicklungen und Tendenzen in der Schweiz

Museen in der Verantwortung, Nicola Doll (Hg.), 385 ff. (zusammen mit Monika Steinmann Meier)

Auszug aus dem Fazit

 

Nachdem sich die Schweiz aktiv an der Ausarbeitung der Washingtoner Richtlinien beteiligt hatte, haben die meisten Schweizer Institutionen – bis zur Annahme des Erbes von Cornelius Gurlitt durch die Stiftung Kunstmuseum Bern 2014 – die Raubkunstthematik ausgesessen. Dies führte dazu, dass heute, über 25 Jahre nach Verabschiedung der Washingtoner Richtlinien, für die Schweiz zahlreiche Fragen im Umgang mit nationalsozialistischer Raubkunst noch ungeklärt sind. Sie betreffen die Auslegung und Anwendung zentraler Begriffe der Washingtoner Richtlinien wie beispielsweise »NS-Raubkunst«, den Umgang mit unvollständigen Erkenntnislagen und die Verfahren von unabhängigen Gremien, die gerechte und faire Lösungen erarbeiten sollen.
Der umfassende Begriff NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter sollte übernommen werden, weil er explizit die Verfolgung der vormaligen Eigentümerinnen und Eigentümer durch das nationalsozialistische Regime und die Auswirkung dieser Verfolgung auf die gesamten Lebensumstände einbezieht. Die hiesige Unterscheidung zwischen Raubkunst und »Fluchtgut«, die bei historischen Bewertungen als hilfreich erachtet wird, führt zu Kategorien, die im rechtlichen Sinn nicht haltbar sind. Der Begriff »Raubkunst« ist daher auch im rechtlichen Sinne als für alle NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgüter umfassend zu verstehen, wie dies auch die Best Practices festhalten.
Provenienzrecherchen sind Annäherungen an historische Ereignisse. Sie führen in der Regel zu unvollständigen Erkenntnislagen. Bestehende Wissenslücken bei Kunstwerken, die zwischen 1933 und 1945 den Besitzer wechselten, sind historisch-kritisch hinsichtlich der Umstände des Krieges, des Holocaust und in Anerkennung der zeitlich weit zurückliegenden Sachverhalte zu bewerten und kein Grund, sich einer Entscheidung zu enthalten.175 Für gerechte und faire Lösungen sind deswegen transparente Verfahren und unabhängige Gremien unabdingbar. Wer ernsthaft nach gerechten und fairen Lösungen für Kulturgüter sucht, die während der NS-Diktatur verfolgungsbedingt entzogen wurden, wird sich der historischen Verantwortung stellen und ethische Aspekte in die Überlegungen miteinbeziehen. Auch wenn historisches Unrecht nicht ungeschehen gemacht werden kann, ist es doch grundlegend, das Leid der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung anzuerkennen, eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu fördern und zu ermöglichen, um daraus Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.
Die Washingtoner Richtlinien haben auch über 25 Jahre nach ihrer Verabschiedung nicht an Aussagekraft verloren. Für die Umsetzung im Sinne der Best Practices muss auch die Schweiz die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.



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