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Gurlitt-Sammlung: verantwortungsvoll erben

Neue Zürcher Zeitung, 13.11.2014, von Andrea F. G. Raschèr und Christoph Reichenau

Das Kunstmuseum Bern muss demnächst entscheiden, ob es die Erbschaft der Sammlung Gurlitt annehmen will. Diese enthält NS-Raubkunst sowie sogenannte «entartete Kunst»; das Kunstmuseum müsste also die Herkunft der Werke lückenlos erforschen.

Cornelius Gurlitt hat seine Kunstsammlung von rund 1600 Gemälden, Zeichnungen und Grafiken kurz vor seinem Tod im Mai 2014 dem Kunstmuseum Bern vermacht. Anfang Dezember läuft die Frist ab, innert deren der Stiftungsrat des Kunstmuseums Bern sich entscheiden muss, ob er die Erbschaft annimmt oder ausschlägt. Die Sammlung stammte von seinem Vater Hildebrand Gurlitt, einem der wichtigsten Kunsthändler des Dritten Reichs. Bekannt ist, dass die Sammlung NS-Raubkunst sowie sogenannte «entartete Kunst» enthält. Cornelius Gurlitt profitierte davon.

Washingtoner Prinzipien

Zur NS-Raubkunst gehören Kulturgüter, die während des Nazi-Regimes Verfolgten geraubt wurden oder die verfolgte Menschen in einer Zwangslage veräusserten. Für den Umgang mit NS-Raubkunst gelten seit 1998 die Washingtoner Prinzipien, die auch die Schweiz unterzeichnet hat. Sie verpflichten öffentliche Institutionen sowie öffentlich finanzierte Museen, die Herkunft ihrer Bestände zu erforschen, NS-Raubkunst an die Verfolgten und Beraubten zurückzugeben oder diese angemessen zu entschädigen. Sobald das Kunstmuseum Bern die Erbschaft antritt, hat es diese Prinzipien zu befolgen; anders als es ein Teil der Schweizer Museen bis heute getan hat. Vorbildlich verhielt sich das Bündner Kunstmuseum, das im Jahr 1999 das Gemälde «Nähschule» von Max Liebermann, das die Nazis der Familie Silberberg 1935 abgepresst hatten, den Erben bedingungslos zurückgab. Das Museum betrachtete das Verfolgungsschicksal der Familie und den Verkauf aus einer Zwangslage als ausschlaggebend. Die Nazis bezeichneten als «entartete Kunst» sämtliche Kunstwerke, die sie als «undeutsch», «artfremd», als «Verfallskunst» oder «Negerkunst» erachteten. Auf diese Weise diffamierten sie öffentlich alle, die solche Kunst schufen, und versuchten, die Werke auszulöschen. Die Nazis vernichteten oder verkauften mutmasslich gegen 20 000 Werke. Einer der Verkäufer war Hildebrand Gurlitt. Verkäufe aus jener Zeit gelten bis heute als rechtmässig, in der Schweiz wie in anderen Ländern. Ein Museum, aus dem damals ein Werk konfisziert und verkauft worden ist, hat heute keine rechtliche Handhabe, um die Rückerstattung zu erwirken. Wenige Wochen bevor der Stiftungsrat des Kunstmuseums Bern über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft zu befinden hat, werden Stimmen laut, die warnen, ermuntern, drohen. Der Stiftungsrat schweigt und lässt die Öffentlichkeit spekulieren. Dieses Schweigen befremdet, denn zumindest die Berner Öffentlichkeit ermöglicht durch Subventionen den Betrieb des Kunstmuseums und hat ein Anrecht nicht nur auf Kenntnisnahme des Beschlusses, sondern auch auf eine Teilhabe daran durch Diskussion im Vorfeld. Trotz diesem Schweigen lassen sich Eckpunkte einer verantwortungsvollen Vorgehensweise bei Annahme der Erbschaft skizzieren. Mit der Sammlung Gurlitt fällt dem Kunstmuseum ein bedeutender Werkbestand zu, in dem sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Höhen und Tiefen spiegelt. Das Kunstmuseum Bern kann nicht den Ertrag annehmen, aber den Aufwand andern überlassen. Am Kunstmuseum ist es, die Herkunft der Werke lückenlos zu erforschen, Erben ausfindig zu machen und Verhandlungen mit ihnen und - für «entartete Kunst» mit Museen - zu führen, um Lösungen zu finden. Es darf diese Aufgabe nicht deutschen Behörden und Institutionen übertragen. Eigentum verpflichtet. Nimmt das Museum die Sammlung an, muss es sich, pathetisch gesagt, der damit verbundenen Geschichte stellen. Das kann kein Stellvertreter übernehmen. Ist die Herkunft geklärt, erscheint es selbstverständlich, dass Werke «entarteter Kunst» deutschen Museen vertraglich als Leihgabe zur Verfügung gestellt werden. Und ebenso klar erscheint, dass mit den Erben der einst von den Nazis Verfolgten und Beraubten eine Lösung im Sinne der Rückerstattung oder einer angemessenen Entschädigung zu finden ist. Dies entspricht sowohl den geltenden internationalen Grundsätzen wie auch dem erklärten Willen von Cornelius Gurlitt. Es liegt am Kunstmuseum, diese Aufgabe zu meistern, mag sie noch so gross sein. Allerdings braucht es dazu wohl fachliche Hilfe aus Deutschland und anderen Ländern. Zweckmässig wäre es, sich dafür freiwillig externer Begleitung und Aufsicht zu unterstellen, zum Beispiel der Unesco. Und es benötigt Geld, denn die erforderlichen Recherchen sind aufwendig und langwierig. Das Kunstmuseum Bern muss eigene Mittel einsetzen; der Kanton Bern, der es subventioniert, sollte es unterstützen. Beitragen soll auch der Bund, denn es stellt sich eine kulturpolitische Frage von grosser Bedeutung. Und warum soll es keine Privaten geben, denen an einer verantwortungsbewussten Haltung so viel liegt wie an derKunst selbst?

Geduld ist nötig

Unabdingbar ist Geduld. Gewissenhafte Abklärungen dauern erfahrungsgemäss lange. Erst wenn die Herkunft jedes Werks zweifelsfrei feststeht und im Fall von NS-Raubkunst Rückerstattungen vollzogen oder Entschädigungen geleistet sind, erscheint die Integration der Sammlung Gurlitt in jene des Kunstmuseums Bern zulässig. Kann das Kunstmuseum auf fachliche Unterstützung und auf finanzielle Hilfe zählen, kann es geduldig und grossmütig sein - dann ist es gut gerüstet, um eine mustergültige Leistung zu erbringen. Der Makel ihrer Herkunft bleibt wohl lange an der Erbschaft haften. Am Kunstmuseum Bern liegt es, den Makel zu kompensieren: durch eigene Leistung, grösstmögliche Transparenz sowie respektvolle Gespräche und Verhandlungen mit den Erben. Damit kann es international Massstäbe setzen und gar zum Vorbild werden. Daraus entsteht Reputation.



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