Die Internet-Suchmaschine Google hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie will die grösste virtuelle Bibliothek der Welt werden. Dazu scannt sie Bücher elektronisch ein und stellt den Inhalt kostenlos im Internet zur Verfügung.
Google arbeitet im so genannten «Gutenberg-Projekt» mit verschiedenen Bibliotheken zusammen: den Universitätsbibliotheken von Harvard, Michigan, Stanford, der New York Public Library und in Europa mit der Bodleian Library in Oxford. Millionen Bücher aus den unterschiedlichsten Themenbereichen sollen im Internet zugänglich sein. Längst vergriffene Bücher sind wieder zugänglich, und die Volltextsuche soll das Auffinden bestimmter Textstellen erleichtern.
Google hat den Start seines Projektes immer wieder verschoben, weil es in den USA und verschiedenen europäischen Ländern mit einer Reihe von Klagen konfrontiert wurde: Verlage und Autoren sehen ihre Urheberrechte in Gefahr.
Start trotz Kritik
Ungeachtet der anhaltenden Kritik ermöglicht Google den Zugang zu digitalisierten Büchern: Seit Mittwoch können auf der Website «Google Book Search» ganze Bücher auf den Computer heruntergeladen werden. So findet sich beispielsweise Dantes «Divina Commedia» in der englischen Übersetzung von Ramsay von 1862 oder Victor Hugos «Sämtliche poetische Werke» in der deutschen Übersetzung von Ulrich Seegers von 1861 wie auch Johann Wolfgang Goethes «Faust» in einer Ausgabe von 1850.
Gemäss Google handelt es sich bei den angebotenen Werken ausschliesslich um solche, die nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind. Von geschützten Werken seien nur Auszüge erhältlich.
An weiterer Kritik mangelt es trotzdem nicht: Die schlechte Qualität der eingescannten Daten wird bemängelt, die Seiten seien oft unleserlich. Auch von politischer Seite bläst Google ein kalter Wind entgegen: Der Direktor der Französischen Nationalbibliothek, der Historiker Jean-Noël Jeanneney, ist einer der grössten Gegner des Google-Projektes. Er betreibt mit «Gallica» das ambitionierteste freie europäische Digitalisierungsprojekt - vorläufig nicht so erfolgreich wie Google. Er warnt vor der Herrschaft einer Hypermacht: Weil Google englisch ausgerichtet ist, komme es zu einer Hegemonie des Englischen. Die europäischen Sprachen würden marginalisiert. Er befürchtet, dass der stärkere Anbieter auf Kosten des Schwächeren die Gewichtung der Inhalte bestimmt und so zu einem Monopol werden könnte. Damit würde Google ein interessanter Werbeträger.
Jeanneney möchte diesem «kapitalistischen» Google-Prinzip ein Modell entgegensetzen, bei dem der Staat das Sagen in Dingen des kulturellen Gedächtnisses hat. Jeanneney plädiert für eine europäische Alternative zum Digitalisierungsprojekt von Google und bietet sein Projekt Gallica als Lösung an. In Europa haben 19 National- und Universitätsbibliotheken den Appell der französischen Nationalbibliothek unterzeichnet, um eine drohende geistige und kulturelle Vorherrschaft der USA zu verhindern.
In Deutschland gibt es zwei Digitalisierungszentren: Die Universitäten von München und Göttingen haben bereits beachtliche Teile ihrer Sammlungen digitalisiert, über die Hälfte ist zugänglich. Besonders zu erwähnen ist die Digitalisierung der Gutenberg-Bibel in Göttingen.
Google macht es erfolgreich vor: Sein System ist zwar nicht perfekt, aber es funktioniert. In Europa gibt es mannigfache Projekte und Systeme - es werden Appelle unterzeichnet. Konkurrenzfähige Alternativen sind aber erst in Ansätzen vorhanden, obwohl die meisten Schätze in europäischen Bibliotheken lagern.
Neue Ansätze gefordert
Auch das Schweizer Bundesamt für Kultur schreibt sich seit Jahren eine nationale Memopolitik auf die Fahne - passiert ist wenig. Der Vorstoss von Google wird die Ministerialbeamten wohl wachrütteln, bevor der Zug ganz abgefahren ist. Es wird zu diskutieren sein, ob die Digitalisierung unseres Wissens eines der Vorzeigeprojekte sein könnte für die Zusammenarbeit zwischen Kultur und Wirtschaft, indem Staat und Private in der Bewahrung und Vermittlung unseres kulturellen Erbes zusammenarbeiten. So könnte dereinst dem Vorstoss von «Google Book Search» das Verdienst zukommen, auch die Diskussion in der Schweiz vorangetrieben zu haben.