Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland wurden zahlreiche Eigentümer von Kunstwerken enteignet. Andere waren gezwungen, ihre Werke zu verkaufen, um damit die Flucht zu finanzieren. Im ersten Fall spricht man von Raubkunst, im zweiten von Fluchtgut. Bei zehn Werken der Sammlung der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) wird zurzeit danach geforscht, ob sie aus «NS-verfolgungsbedingtem Entzug» stammen, wie die offizielle Sprachregelung der Stiftung lautet.
Die Fälle, in denen sich der Verdacht bestätigt hat, werden am Ende durch eine unabhängige Kommission beurteilt. Diese entscheidet darüber, was mit den Werken geschieht. Ein Entscheid ist gemäss Sammlungsleiter Severin Rüegg auch dann möglich, wenn die Herkunft nicht lückenlos aufgeklärt werden kann. Diese Vorgehensweise sei in der Schweiz nicht üblich, bislang gehe nur das Kunstmuseum Bern so vor. Die Öffentlichkeit soll nach dem Abschluss des Verfahrens informiert werden.
Dass man nicht alles herausfindet, dürfte oft der Fall sein, weil seit den Ereignissen viel Zeit vergangen ist und vieles nicht dokumentiert wurde. Das betrifft gerade auch den Handwechsel von Kunstwerken. Die Mehrheit der Museen wartet in solchen Fällen zu – mit dem Verweis, dass weitere Forschung nötig sei.
Am Dienstag wurde die unabhängige Kommission in einem Onlinemeeting vorgestellt. Designierter Kommissionspräsident ist Andrea Raschèr. «Meines Wissens ist die Einsetzung einer solchen Kommission eine weltweite Premiere», sagte Raschèr. Ähnliche Gremien gibt es zwar bereits in einigen europäischen Ländern. Diese würden jedoch nur Empfehlungen aussprechen, während die von der SKKG ins Leben gerufene Kommission selbst Entscheidungen fällen werde. Zudem sei die SKKG die erste private Stiftung, die das mache. Die Kommission habe zudem Zugang zu allen Dokumenten und könne jederzeit beantragen, dass weitere Fälle genauer untersucht werden: «Es gibt keinen Filter», sagte Raschèr.
Der Jurist Andrea Raschèr ist Experte für Kunstrecht. Er war 1998 Teil der Schweizer Delegation bei der Washingtoner Konferenz, an der Richtlinien für den Umgang mit Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus erarbeitet wurden. Raschèr lehrt unter anderem am Zentrum für Kulturmanagement der ZHAW School of Management and Law.
Von den übrigen vier Mitgliedern kommen jeweils zwei aus dem Bereich des Rechts und der Geschichte: Constantin Goschler ist Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum und Experte für Wiedergutmachung und Erinnerungskultur; Stefanie Mahrer ist Professorin am Historischen Institut der Universität Bern und forscht zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz; die Juristin Claudia Kaufmann war Ombudsfrau der Stadt Zürich; der Winterthurer Rechtsanwalt Olaf Ossmann ist Experte für Restitutionsrecht. Die Kommission ist ehrenamtlich und unentgeltlich tätig.
Ossmann, der auch Vorstandsmitglied der Association of Jewish Lawyers ist, vertritt als Anwalt die Interessen früherer Besitzer und ihrer Nachkommen. Vor einem Jahr schlug er zur Prüfung der Fälle die Bildung einer unabhängigen Kommission vor.