DEUTSCHENGLISH
---
Rascher Consulting Logo
menu
Rascher Consulting search
Rascher Consulting search
Ein schwieriges Erbe

NZZ, 14. Mai 2014, von Claudia Schoch

Gurlitt soll seine Sammlung dem Kunstmuseum Bern vererbt haben. Das stellt das Museum vor zahlreiche rechtliche Fragen

Deutschland hat mehr Erfahrung


Kaum ein mit öffentlichen Geldern finanziertes Museum in Deutschland leistet es sich heute, auf Provenienzforschung zu verzichten, wie der Zürcher Kunstrechtsexperte Andrea Raschèr feststellt. In der Schweiz ist man bei der Durchforstung der Museumsbestände weniger akribisch. Dies zeigte nicht zuletzt ein Bericht des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) von Anfang 2011.

Um die Provenienzprüfung wird bei einer Annahme des Gurlitt-Erbes das Kunstmuseum Bern nicht herumkommen. Überlässt es diese den deutschen Behörden beziehungsweise beauftragt es diese damit, würden beraubte Familien wie auch Bern von deren Kompetenz und Erfahrung profitieren. Dabei wären sinnvollerweise, wie Raschèr meint, auch die in Salzburg befindlichen Konvolute von Gurlitt mit einzubeziehen. Es fragt sich allerdings, wie sich die österreichischen Behörden dazu stellen würden.
Doch die Schweizer Museen und Behörden interpretieren die Washingtoner Richtlinien weit restriktiver als die deutschen. Die Schweiz hält sich eng an den Wortlaut und leistet Restitution nur bei Werken, die durch die Nazis geraubt, abgepresst oder abgenötigt wurden. Deutschland trägt den historischen Gegebenheiten bessere Rechnung, indem es die Prinzipien auf alle «verfolgungsbedingt entzogenen» Kulturgüter anwendet.

Das heisst, darunter fallen, wie Raschèr bestätigt, auch Verkäufe von Werken – zumeist unter Wert –, die namentlich jüdische Verfolgte tätigen mussten, nachdem ihnen durch Diskriminierung und antisemitische Hetze ab 1933 ihre Einkommensgrundlagen zerstört worden waren, deren Geschäfte ruiniert, die als Beamte entlassen oder denen die Berufszulassungen etwa als Anwälte, Wirtschaftsprüfer oder Ärzte weitgehend entzogen worden waren. Ebenso zählen Verkäufe dazu, die die Flucht und die Bezahlung der Reichsfluchtsteuer ermöglichten sowie Veräusserungen nach der erzwungene Emigration zur Bestreitung des Unterhalts. Wer auch immer Provenienzen und Restitutionsfragen klären wird, es würde kaum verstanden, wenn sich das Kunstmuseum Bern beim Gurlitt-Erbe auf die restriktive Praxis der Schweiz zurückziehen würde. Dieser Einschätzung pflichtet Raschèr bei, der bei der Ausarbeitung der Washingtoner Prinzipien Ende der 1990iger Jahre Verhandlungsleiter der Schweiz war.

Rückgabe von "entarteter Kunst"?

Die Rückgabe sodann von «entarteter Kunst» an deutsche Museen erfasst die Washingtoner Erklärung nicht. Bisher erfolgten keine solchen Restitutionen. Doch Raschèr ist überzeugt, dass es für das Berner Kunstmuseum aus museumsethischer Sicht heikel würde, solche Werke nicht an die Museen herauszugeben. Er gibt zu bedenken, dass die Museen oft kommunale Einrichtungen waren, die von den Nazi–Schergen nicht selten gezwungen wurden, die inkriminierten Kunstwerke – gegen ihren Willen – herauszugeben oder gar zu zerstören. Sie seien somit auch beraubt worden. Ferner erinnert Raschèr daran, dass Vater Gurlitt als Kunsthändler Hitlers direkt an die Bilder gekommen war. Ob er sie dabei rechtmässig erworben hatte, ist fraglich.



facebook twitter xing linkedin
Back to List