Beim Namen Gurlitt hätten jedem Galeristen und Kunsthändler die Alarmglocken läuten sollen
Bündner Tagblatt, 13.11.2013, 8
Interview von Flurina Maurer
Vor eineinhalb Wochen wurde der Münchner Kunstfund publik. Seither stehen die zuständigen Behörden in der Kritik. Zu Recht, findet Andrea Raschèr. Der Raubkunst-Experte mit Bündner Wurzeln über ahnungslose Behörden, Antisemitismus und warum das Bündner Kunstmuseum Vorbildfunktion hat.
Bündner Tagblatt: Wieso fliessen die Informationen seitens der Behörden rund um den Müchner Kunstfund nur so sparsam?
Andrea Raschèr: Wie es aussieht, handelt es sich hier um eine Untersuchung in einem Steuerdelikt. Dabei halten sich die Behörden ans Amtsgeheimnis. Angesichts der Tragweite dieses Falles, den man doch als aussergewöhnlich taxieren kann, ist ein solches Vorgehen hier aber nicht verständlich. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass Gemälde in der staatlichen Datenbank von Kulturgütern aufgelistet sind, die von den Nazis geraubt worden sind.
Inzwischen haben die Behörden vorderhand 25 Werke in der Lostart-Datenbank aufgelistet, bei denen laut Behördenangaben «der begründete Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug besteht».
Endlich haben die Bundesbehörden gehandelt. Das haben meine Kollegen und ich bereits letzte Woche gefordert. Dies ist aber erst ein erster Schritt. Es ist wichtig, dass rasch alle Gemälde vorne und hinten fotografiert und in eine Datenbank ins Netz gestellt werden. Wieso das nicht bereits vor einem Jahr möglich war, ist mir ein Rätsel.
Was sagen Sie zu den aufgelisteten Werken?
In der Liste hat es durchaus das eine oder andere, dem vertieft nachzugehen ist. Für konkrete Ergebnisse ist es zu früh. Dazu brauchen wir eben nun endlich die von der Bundesregierung eingesetzte Task-Force. Ich wiederhole: warum war dies nicht bereits vor über einem Jahr möglich? Sind die Behörden in Augsburg wirklich so unfähig oder gibt es da andere Interessen?
Können Sie das etwas ausführen?
Die deutschen Behörden wussten auf der einen Seite, dass es sich hier sicher um sogenannt „enteignete Kunst“ und zum Teil auch Naziraubkunst handelte. Auf der anderen Seite weigerten sich wiederum deutsche Behörden, hier für Transparenz zu sorgen. Angesichts der Tragweite des Falles ist ein solches Vorgehen inakzeptabel. Es kann nicht sein, dass Nachkommen von Naziopfern noch länger auf Gerechtigkeit warten müssen. Hier ist Handeln angesagt: Erstens sollten alle Bilder raschmöglichst fotografiert und ins Internet gestellt werden, damit die internationale Forschergemeinschaft hier Klarheit schaffen kann. Zweitens sollten die Gesetze so angepasst werden, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, dass Private oder auch Museen Naziraubkunst bei sich horten dürfen.
Wie beurteilen Sie das Vorgehen der österreichischen Behörden?
Wenn schon die «Ahnungslosigkeit» der Augsburger Behörden höchst zu erstaunen vermag, so ist doch das Verhalten der österreichischen Behörden im Moment gelinde gesagt skandalös. Es kann doch nicht sein, dass in einem solchen Verfahren nicht weitere Untersuchungen getätigt werden, wenn man doch schon weiss, dass Cornelius Gurlitt ein Haus in Salzburg hat und sich zeitweise sonst noch in Österreich aufgehalten hat. Da er zudem auch noch über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt, wäre es hier angezeigt, profunder ans Werk zu gehen.
Dass der Fall überhaupt an die Öffentlichkeit gelangte, war ja ein Zufall.
Das Ganze wurde über ein Jahr lang von den Augsburger Behörden unter dem Deckel gehalten. Es scheint fast, dass jemand aus dem Innern der Behörden die Medien informiert hat, damit das Ganze nicht einfach versandet.
Wieso hätten die Behörden an einem Verdsanden Interesse haben können?
Vielleicht war die ganze Angelegenheit von Anfang an zu gross und man wollte erst einmal alles durchsichten und zuwarten, ob die Steuerdelikte verjährt sind oder Herr Gurlitt vielleicht stirbt und der Fall geschlossen wird. Beim Namen Gurlitt und hochkaratigen Künstlernamen wie beispielsweise Degas hätten bei den Behörden die Alarmglocken schon viel früher läuten müssen. Es hätte klar sein müssen, dass man hier nicht einfach weiter im eigenen Augsburger Süppchen verharren darf.
Das Wort «Raubkunst» wird dennoch von den Augsburger Behörden nur selten in den Mund genommen.
Stimmt, es war von «entarteter Kunst» die Rede.
Glauben Sie, dass es sich hierbei um einen Einzelfall handelt, oder rechnen Sie mit weiteren solchen Fällen?
Es ist bekannt, dass die Nazionalsozialisten hunderttausende von Kunstgütern, seien dies Gemälde, Zeichnungen, Bücher oder Musiknoten, geraubt und beschlagnahmt haben. Allein in Frankreich wurden über 2000 Eisenbahnwagen voller Kulturgüter geraubt. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren mehrere solcher Konvolute an die Öffentlichkeit kommen.
Wieso wird nach wie vor mit Kunst gehandelt, deren Herkunft nicht über alle Zweifel erhaben ist?
In der Vergangenheit wurde der Provenienz eines Kunstwerkes sehr wenig Beachtung geschenkt. Das wichtigste war, dass es echt war. Es zeigt sich immer mehr, dass ein solcher Umgang mit Kunst höchst fahrlässig bis kriminell ist. Heute ist es wichtig, sich genau zu informieren, woher ein Kunstwerk stammt, und Nachforschungen anzustellen. Wenn auch nur der leiseste Zweifel besteht, dann gilt: Finger weg!
Dass Raubkunst bewusst erworben wurde, scheint schwer nachweisbar zu sein?
Einer Rückgabe steht oft der rechtliche Mechanismus des guten Glaubens oder der Ersitzung entgegen. Je mehr aber über diese Zeit bekannt wird und je mehr die Öffentlichkeit erfährt, desto schwieriger wird es sein, sich auf den guten Glauben zu berufen. Klar ist, dass beim Namen Gurlitt bei jedem Kunsthändler und Galeristen alle Alarmglocken hätten läuten sollen. Gurlitt war einer der vier Händler des Reiches. Das weiss in der Branche jeder.
Wie können Erben von vom NS-Regime verfolgten Juden ihre Ansprüche durchsetzen?
Zuerst einmal müssen die deutschen Behörden die gesamte Liste rasch veröffentlichen, damit sich alle ein Bild davon machen können, was in Augsburg überhaupt lagert. Erst dann ist es sinnvoll, konkrete rechtliche Schritte zu unternehmen. Angesichts der Komplexität solcher Fälle sieht jeder Einzelfall anders aus. Eine generelle Handlungsweise gibt es nicht. Es kann aber gesagt werden, dass solche Verfahren kompliziert und langwierig sind. Oft konnten aber in der Vergangenheit bereits Erfolge gefeiert werden.
Als Beispiel hierfür lässt sich das Bündner Kunstmuseum nennen, das unter seinem damaligen Direktor Beat Stutzer im Jahr 2000 ein Gemälde von Max Liebermann zurückerstattet hat.
Ich habe zu diesem Zeitpunkt im Bundesamt für Kultur (BAK) gearbeitet und mich mit diesem Fall befasst. Das Verhalten des Bündner Kunstmuseums und insbesondere seines damaligen Dirktors Beat Stutzer ist vorbildlich. Er hat auch Mut bewiesen, weil er sich damit nicht überall Freunde geschaffen hat – vor allem nicht bei zahlreichen grossen Museen. Damals waren Restitutionen für Kunstmuseen noch ein Tabuthema. Beat Stutzer hat kulturelle und moralische Grösse gezeigt, indem er ein entstandenes Unrecht unkompliziert und rasch wiedergutgemacht hat.
Hatte das einen grossen Einfluss?
Ich war in meiner damaligen Funktion beim BAK mit den USA in Verhandlungen wegen Raubkunst. Dank dieser Rückgabe durch das Bündner Kunstmuseum wurde die Position der Schweiz gegenüber den USA enorm gestärkt. Man kann sagen, dass Chur hier sozusagen die Schweiz gerettet hat. Wo andere Museen noch total blockierten oder es immer noch tun, sorgte das Bündner Kunstmuseum für eine Sensation.
Das Loslassen scheint bei Kunstgegenständen besonders schwerzufallen.
Kulturgüter haben seit jeher einen grossen emotionalen Wert. Dieser ist viel wichtiger als der materielle Wert und hier herrscht auch ein völlig anderer Bezug als beispielsweise bei Geld auf einem Bankkonto. Diese Kunstwerke sind in Wohn- und Kinderzimmern gehangen, da sind Geschichten und Emotionen dahinter.
Der Münchner Kunstfund rollt Themen wieder auf, die vielen unangenehm sind und die lieber unter den Teppich gekehrt werden.
Dieser Fall zeigt auch sehr deutlich, wie sensibel das Thema Raubkunst ist und was für grosse Emotionen auch 80 Jahre später noch dahinterstecken. Der Münchner Kunstfund hat die Diskussionen neu belebt und es bleibt zu hoffen, dass nicht nur Museen, sondern auch Sammler ihre Lehren daraus ziehen. Das Kunstmusuem in Chur hat dies bereits vor über zehn Jahren vorgemacht.
Auch Antisemitsmus ist nach wie vor ein sensibles Thema.
Ich erlebe Antisemitismus auch in meinem Berufsalltag. So finde ich es bezeichnend, dass ich als «Judenanwalt» tituliert werde. Ich bin stolz darauf – vor allem ist es mir lieber, als wenn man mich den «Nazi-Anwalt» nennen würde. Aber ich höre auch Fragen wie «Wieso kommen die geldgierigen Juden denn jetzt schon wieder, die sollten doch schon lange tot sein?» oder «Bist du wieder einmal im
‘Schoa Business
’ tätig?» manchmal auf. Dieser schwelende Antisemitismus, der einfach nie aufhört, ist das grösste Problem für mich – da werden mit primitivsten Stereotypen gefährliche Ressentiments geschürt.